Tiefenpsychosomatik

ein neues psychotherapeutisches Konzept zur körperorientierten Bearbeitung von vorsprachlichen Traumatisierungen von Terence Dowling

Unser Verständnis für die frühesten Phasen der menschlichen Entwicklung hat sich in den letzten Jahren in großem Ausmaß vertieft und ausgeweitet. Wissenschaftliche Forschung an zahlreichen Universitäten verschiedener Länder hat eindeutig gezeigt, dass frühe traumatische Erfahrungen, insbesondere Stresserfahrungen, die die Verarbeitungsmöglichkeiten des Kindes überschreiten, langandauernde schädigende Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben können.

In der Stressforschung bezeichnet man eine Stresswirkung jenseits des Punktes, der noch verarbeitet werden kann, als transmarginal. Wenn das transmarginale Trauma vorbei ist, wird die Schreckenserfahrung vom Kind verdrängt. Die Erinnerung wird unzugänglich und die traumatische Erfahrung nicht verarbeitet. Doch verschwindet sie nie aus dem Unbewussten. Solche verborgenen traumatischen Erfahrungen können in der Therapie aufgedeckt werden. Häufig erweisen sie sich als Ursache von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen.

Man kann heute sagen, dass den traumatischen Stresserfahrungen aus der vorsprachlichen Zeit eine grundlegende Bedeutung zukommt. Ein normales drei- oder vierjähriges Kind hat kognitive und sprachliche Möglichkeiten, um schlechte Erfahrungen zu bewältigen und ist in seiner Identität weniger von der Erfüllung seiner körperlichen Bedürfnisse abhängig. Ein Fetus oder Säugling hingegen ist viel weniger gefestigt. Er ist psychisch unmittelbar von seinem körperlichen Wohlbefinden abhängig. Darum greift ein vorsprachliches Trauma direkt den Kern des Kindes an und verletzt seine zentralen psychosomatischen Strukturen. Eine Psychotherapie, die vor allem über die Sprache geht, hat notwendigerweise Schwierigkeiten im Umgang mit Störungen, die ihre Wurzeln in präverbalen Traumatisierungen haben.

Ein neues Verständnis für die Bedeutung früher Traumatisierungen hat zur Entwicklung neuer vornehmlich körperorientierter therapeutischer Konzepte und Methoden geführt. Neue Methoden einer körperorientierten Analyse, die die charakterliche Tiefenstruktur, das typische Verhalten und psychosomatische Reaktionen erfasst und erlebbar macht. Die diagnostische Erfassung des Vorliegens und der besonderen Eigenarten paradoxer Reaktionen, wie sie durch präverbale transmarginale Stresserfahrungen verursacht sind ermöglichen:

  • Genaues psychodynamisches Verstehen der Symptome des Patienten.

  • Eine Rekonstruktion der ursprünglichen Bedingungen, in der die Symptome entstanden sind und sich eingeprägt haben.

  • Die Unterstützung des Patienten, neue Wege des Erlebens, des Atmens, des sich Bewegens, des Denkens und der Beziehung zu entwickeln, um neue Lösungen für die alten Probleme zu finden.

Viele Patienten mit psychischen und psychosomatischen Störungen suchen nach dem Sinn ihrer Symptome: “warum” und “warum gerade ich”. Die tiefenpsychosomatische Diagnose wird oft als das erste wirkliche Erleben und Verstehen der Natur und der Ursache des persönlichen Leidens erfahren. Die Patienten erleben ganz unmittelbar die Verbindung zwischen ihrem seelischen Reagieren, ihrer typischen Art zu denken, ihren Wünschen, Phantasien und Träumen, ihren Ängsten und ihren körperlichen Störungen. Sie fangen an, die Natur ihrer seelischen und körperlichen Störungen und deren ursprüngliche Verbindung zum frühen Trauma zu verstehen.